

Ginkgo biloba, ein lebendes Fossil mit tiefen Wurzeln in der chinesischen Heilkunst, hat sich in der modernen Medizin zu einem der meistgenutzten pflanzlichen Heilmittel entwickelt. Doch welche Wirkungen sind wirklich belegt, und wo besteht noch Forschungsbedarf? Dieser Artikel gibt einen umfassenden Einblick in die traditionelle und moderne Anwendung von Ginkgo – von der Gedächtnisleistung bis zur Unterstützung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Blätter des Ginkgo biloba, eines lebenden Fossils, sind seit Jahrtausenden für ihre heilenden Eigenschaften bekannt und finden heute Einsatz in der modernen Medizin. Foto: Shutterstock
Seit Tausenden von Jahren gelten die Blätter des Ginkgo-Baums in der chinesischen Medizin als bewährtes Heilmittel. Auch in westlichen Ländern setzen viele Menschen auf Ginkgo-Präparate, um das Gedächtnis zu verbessern und die Konzentration zu fördern. Diese Präparate zählen hierzulande seit Jahren zu den umsatzstärksten rezeptfreien Mitteln und sind sowohl in Drogerien als auch online erhältlich. Sie sollen bei Gedächtnisproblemen, Tinnitus und weiteren Beschwerden helfen. Doch welche wissenschaftlichen Belege gibt es wirklich für die Wirkung von Ginkgo?
Verschiedene Arten von Ginkgobäumen (Ginkgophyta) entwickelten sich bereits im Mesozoikum, mit einem Höhepunkt in der Jura- und Kreidezeit. Der einzige heute noch existierende Vertreter, oft als ‚lebendes Fossil‘ bezeichnet, ist der Ginkgo biloba. Diese Art wurde 1691 von Engelbert Kaempfer in Japan entdeckt und 1771 von Linné wissenschaftlich beschrieben.
Ursprünglich in China beheimatet, wird der Ginkgo heute weltweit als Zierbaum oder zur Gewinnung von Ginkgoblättern kultiviert. Er kann bis zu 30 Meter hoch werden und Stammumfänge von bis zu 7 Metern erreichen. Ginkgobäume beginnen ab einem Alter von etwa 20 Jahren sich zu vermehren, wobei die weiblichen Bäume Samen (Ginkgonüsse) mit einer fleischigen Hülle entwickeln.
Der Name ‚Ginkgo‘ ist eigentlich eine falsche Schreibweise des japanischen Namens ‚gin-kyo‘, was ‚Silberaprikose‘ bedeutet, aufgrund der silbrig-gelben, aprikosenförmigen Früchte. Der Artname ‚biloba‘ bezieht sich auf die charakteristische zweilappige Form der Blätter, die sogar Johann Wolfgang von Goethe inspirierte, der seiner späten Liebe Marianne von Willemer 1815 das Gedicht ‚Gingo biloba‘ widmete.
Botanisch gesehen stellt der Ginkgo eine Brücke zwischen den Koniferen (Nacktsamern) und den höher entwickelten Samenpflanzen dar. Jüngste molekulare Untersuchungen des Ginkgogenoms legen zudem eine enge Verwandtschaft mit den Palmfarnen (Cycadophyta) nahe.
In asiatischen Ländern, insbesondere in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), gibt es zahlreiche Berichte über die traditionelle Anwendung der Ginkgo-Pflanze, sowohl der Blätter als auch der Samen (Nüsse). Die gerösteten Nüsse werden als Snack verzehrt, während Abkochungen der Früchte zur Behandlung von Lungen-, Nieren- und Blasenleiden eingesetzt werden. In der traditionellen indischen Medizin wird ein Tee aus Ginkgo-Blättern zur Behandlung von Herz- und Lungenerkrankungen sowie Hautinfektionen genutzt, aber auch bei Gedächtnisstörungen wie der Alzheimer-Krankheit.1
In den 1950er Jahren führte ein deutsches Pharmaunternehmen Ginkgo-Extrakte zur Behandlung von Demenz und kognitiven Störungen in die westliche Medizin ein, was in den folgenden Jahrzehnten zu einem regelrechten ‚Ginkgo-Boom‘ führte. Heute ist Ginkgo in vielen westlichen Ländern das meistgenutzte pflanzliche Mittel zur Behandlung von Hirnleistungsstörungen wie Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen. Ginkgo-Extrakte werden auch gegen Schwindel, Tinnitus, Erektionsstörungen, Asthma und Angina pectoris eingesetzt.
Anders als in der traditionellen Verwendung werden in der westlichen Medizin nur die Blätter des Ginkgobaums medizinisch verwendet. Diese werden getrocknet, gemahlen und entweder direkt in Kapseln oder als Zusatz in Getränken eingesetzt. Häufiger jedoch werden daraus standardisierte Extrakte gewonnen, bei denen die gewünschten Wirkstoffe konzentriert und unerwünschte Stoffe entfernt werden. Diese Extrakte enthalten somit eine höhere Konzentration an Wirkstoffen im Vergleich zu unbehandelten Blättern, die potenziell unerwünschte Nebenwirkungen haben können.
In dieser Übersicht konzentrieren wir uns auf die Wirkungen von Ginkgo-Blatt-Extrakten. Ginkgo-Präparate gelten in den USA als Nahrungsergänzungsmittel, während sie in Deutschland sowohl als Nahrungsergänzungsmittel (zum Beispiel in Drogerien und Apotheken) als auch als apothekenpflichtige, jedoch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel angeboten werden.
Ginkgoblätter und ihre Extrakte enthalten über 140 chemische Verbindungen, die unterschiedliche Wirkungen auf den Körper haben können. Zu den wichtigsten bioaktiven Verbindungen gehören:
Zahlreiche pharmakologische Studien, sowohl in vitro als auch in vivo, wurden durchgeführt, um die Wirkung von Ginkgo-Extrakten zu untersuchen. Heute geht man davon aus, dass die therapeutische Wirksamkeit von Ginkgo-biloba-Blattextrakten vor allem auf die Flavonoide und Terpenoide (insbesondere Ginkgolide und Bilobalide) zurückzuführen ist. Die in den Ginkgoblättern enthaltenen Ginkgolsäuren gelten hingegen als toxisch und allergen. Aus diesem Grund werden sie aus medizinisch genutzten Ginkgo-Extrakten weitgehend entfernt, sodass nur noch geringe Mengen (in Deutschland maximal 5 ppm) enthalten sind.1,2
Zahlreiche In-vitro- und In-vivo-Studien haben gezeigt, dass Ginkgo-biloba-Präparate und ihre isolierten Verbindungen schützende Wirkungen auf das Herz-Kreislauf- und Nervensystem haben. Ihre durchblutungsfördernden, neuroprotektiven (Nervenzellen schützenden) und regenerativen Eigenschaften sind besonders bei altersbedingten Veränderungen des Nervensystems, wie Demenz (Alzheimer-Krankheit), Ischämie und Schlaganfall von Bedeutung.
In präklinischen Studien wurden verschiedene biochemische und zelluläre Mechanismen identifiziert, die diese medizinisch relevanten Effekte erklären könnten: So hemmen Ginkgo-Inhaltsstoffe die Thrombozytenaggregation und steigern die Produktion von Prostaglandinen und Stickstoffmonoxid (NO), was die Durchblutung verbessert und die Kapillardurchlässigkeit erhöht. Insgesamt wirken Ginkgo-Inhaltsstoffe unter anderem:1
In diesem Abschnitt fassen wir die klinischen Studien zu Ginkgo-Extrakten bei verschiedenen Indikationen zusammen. Dabei stützen wir uns vor allem auf die Übersichtsarbeiten von Akaberi et al. (2023), Nguyen und Alzahraqni (2023) sowie Cave et al. (2023).1,3,4
Ginkgo-Arzneimittel wurden in Deutschland ursprünglich zur Behandlung von Demenz eingesetzt, später jedoch vor allem als Präventionsmittel und „Gedächtnispille“ vermarktet – insbesondere zur Erhaltung kognitiver Fähigkeiten bei gesunden älteren Menschen oder bei ersten Anzeichen von Gedächtnis- und Konzentrationsproblemen.
Die Datenlage zur Wirksamkeit von Ginkgo-biloba-Extrakten bei bestehender Demenz zeigt ein differenziertes Bild. Betrachtet man nur Metaanalysen, also systematische Übersichtsarbeiten mehrerer vergleichbarer Studien, ergibt sich folgendes Bild: Eine Analyse aus dem Jahr 2009, die 36 Studien umfasste, sowie eine weitere aus dem Jahr 2018 mit 38 Studien zeigten, dass Ginkgo-Extrakte zwar gut verträglich sind, aber keinen oder nur einen geringen klinischen Nutzen für Patienten mit kognitiven Beeinträchtigungen und Demenz hatten.5,6
Im Gegensatz dazu kam eine systematische Übersicht aus dem Jahr 2015, die 9 Studien analysierte, zu dem Schluss, dass Ginkgo-Extrakt in einer Dosierung von 240 mg/Tag den Rückgang kognitiver Funktionen bei Demenzpatienten verlangsamen kann.7 Eine weitere Studie aus dem Jahr 2017, in der 12 systematische Übersichtsarbeiten ausgewertet wurden, deutet ebenfalls darauf hin, dass Ginkgo-Extrakt in Dosierungen von über 200 mg/Tag, eingenommen über mindestens fünf Monate, einen möglichen Nutzen für Patienten mit Demenz bietet.8
Die Datenlage zur präventiven Wirkung von Ginkgo bei gesunden älteren Menschen oder solchen mit leichten kognitiven Einschränkungen (MCI, mild cognitive impairment) ist ebenfalls uneinheitlich. Die Ginkgo Evaluation of Memory (GEM)-Studie ergab, dass eine Dosierung von 120 mg zweimal täglich weder die allgemeine Häufigkeit von Demenz noch die Alzheimer-Demenz bei älteren Patienten mit normaler Kognition oder MCI signifikant reduzieren konnte.9 In einer weiteren randomisierten klinischen Studie (GuidAge) aus Frankreich, in der ältere Patienten (≥70 Jahre) mit MCI über fünf Jahre entweder 120 mg standardisierten Ginkgo-Extrakt oder ein Placebo erhielten, zeigte sich ebenfalls kein nachweisbarer Nutzen bei der Vermeidung von Demenz.10 Auch andere Meta-Analysen unterstützen diese Ergebnisse.11,12
Dagegen spricht eine im Dezember 2023 veröffentlichte Übersichtsarbeit von Cave et al., die die Wirkung pflanzlicher Mittel auf die kognitiven Leistungen älterer Menschen mit und ohne MCI untersucht hat.4 Das Autorenteam schloss insgesamt 21 Studien ein, davon 8, die sich ausschließlich oder zusätzlich mit Ginkgo biloba befassten. Die Ergebnisse waren überwiegend positiv, da 14 der 21 Studien Verbesserungen in mindestens einem Bereich der kognitiven Funktionen in der Interventionsgruppe im Vergleich zu Placebo zeigten. Von den 7 Ginkgo-Studien berichteten 4 von Verbesserungen, während 3 keine signifikanten Effekte zeigten. Alle Analysen ergaben, dass Ginkgo-Präparate nur wenige Nebenwirkungen aufweisen. Unerwünschte Wirkungen traten nicht häufiger auf als unter Placebo.
Die Wirkung von Ginkgo auf kardiovaskuläre Erkrankungen (CVD) und Risikofaktoren, einschließlich Bluthochdruck und Diabetes, wurde in zahlreichen Studien untersucht. Während noch große, evidenzbasierte, randomisierte und kontrollierte Studien fehlen, um den Einsatz von Ginkgo in der Therapie oder Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eindeutig zu bestätigen, zeigen einige Forschungsergebnisse Potenzial.
So wird Ginkgo-Extrakt in China häufig als unterstützende Option bei der Behandlung des akuten ischämischen Schlaganfalls eingesetzt. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2005 zeigte zwar keinen signifikanten Nutzen13, doch eine randomisierte kontrollierte Studie (RCT) aus dem Jahr 2018 deutete darauf hin, dass die Kombination von Ginkgo und Aspirin die kognitiven und neurologischen Beeinträchtigungen nach einem akuten ischämischen Schlaganfall verringern kann.14 Weitere Studien untersuchten den potenziellen Nutzen von Ginkgo bei peripheren Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck oder den Plasmaspiegeln von Lipoproteinen. Nguyen und Alzahrani (2023) kommen dennoch zu dem Schluss, dass ‚die Verwendung von Ginkgo-biloba-Extrakt für die Behandlung oder Prävention von CVD aufgrund des Mangels an umfassenden Beweisen derzeit nicht indiziert ist‘.3
In der Übersichtsarbeit von Akaberi et al. (2023) werden Studien zusammengefasst, die auf verschiedene weitere Anwendungsgebiete von Ginkgo hinweisen. Dabei werden besonders die antioxidativen, antiinflammatorischen, antiapoptotischen und zytoprotektiven Eigenschaften der Ginkgo-Inhaltsstoffe hervorgehoben.1 Ginkgo biloba zeigt demnach Wirkungen auf verschiedene Körpersysteme, darunter:
Ginkgo kann jedoch eine blutzuckersteigernde Wirkung haben, so dass bei Diabetikern eine engmaschige Kontrolle des Blutzuckerspiegels empfohlen wird.3
Extrakte aus Ginkgo biloba gelten im Allgemeinen als sicher und gut verträglich. Die empfohlene maximale Tagesdosis beträgt 240 mg. Zu den häufigsten, leichten Nebenwirkungen gehören Kopfschmerzen, Herzklopfen, Magen-Darm-Beschwerden, Verstopfung und allergische Hautreaktionen.2,3
Rohe Ginkgosamen enthalten potenziell giftige cyanogene Glykoside. Der Kontakt mit Ginkgosamen oder deren Verzehr kann schwere allergische Reaktionen und Krämpfe auslösen. Nach dem Rösten oder Kochen sind Ginkgonüsse jedoch genießbar. Ginkgoblätter enthalten Ginkgolsäuren, die als allergen und giftig gelten. In medizinisch zugelassenen Ginkgo-Extrakten sind diese auf einen in Deutschland festgelegten Grenzwert von maximal 5 ppm reduziert.
Einige Fallberichte deuten auf einen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Ginkgo und Blutungsereignissen hin.15 Eine Studie aus dem Jahr 2015 an einer großen Population von US-Veteranen zeigte, dass die gleichzeitige Einnahme von Ginkgo und einem Blutverdünner (Warfarin) das Risiko von Blutungen erhöhen kann.16 Daher sollte Ginkgo mit Vorsicht eingenommen werden, wenn Patienten Blutungsstörungen haben oder blutverdünnende Medikamente wie nicht-steroidale Antirheumatika (NSARs) oder Antikoagulantien wie Marcumar einnehmen. Ginkgo sollte außerdem mindestens 36 Stunden vor einer Operation abgesetzt werden.
Da es keine ausreichenden Erkenntnisse über die Sicherheit von Ginkgo bei Schwangeren, stillenden Müttern und Säuglingen gibt, wird von der Anwendung in diesen Fällen abgeraten.3
Ginkgo biloba gilt als eines der am besten erforschten pflanzlichen Heilmittel. Es besteht Einigkeit darüber, dass Ginkgo eine Vielzahl bioaktiver Inhaltsstoffe enthält, die antioxidative, entzündungshemmende, nerven- und zellschützende sowie durchblutungsfördernde Eigenschaften besitzen. Besonders interessant sind dabei die Terpenlactone wie Ginkgolide und Bilobalide sowie die Flavonoide, insbesondere Biflavonoide.
Vor allem präklinische Studien zeigen, dass Ginkgo-Extrakte und isolierte Verbindungen potenziell heilende und schützende Effekte bei verschiedenen Erkrankungen haben könnten, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nervensystemstörungen (wie Demenz, Schlaganfall und Ischämie), endokrine Störungen, Muskel- und Skeletterkrankungen, Nierenleiden sowie Atemwegs- und Verdauungsprobleme. Am besten untersucht ist die Wirkung von Ginkgo bei der Behandlung und Vorbeugung von Demenz und kognitiven Störungen (MCI).
Allerdings sind die klinischen Beweise für den Nutzen von Ginkgo bei der Behandlung oder Vorbeugung dieser Erkrankungen noch nicht eindeutig. Methodische Unterschiede, wie variierende Studienpopulationen, Dosierungen und Beobachtungszeiträume, erschweren einen klaren wissenschaftlichen Konsens.
Daher besteht weiterhin erheblicher Forschungsbedarf, um den klinischen Nutzen von Ginkgo biloba klarer zu definieren und seine Wirksamkeit in verschiedenen Anwendungsbereichen fundierter zu bestätigen. Zukünftige Studien sollten einheitliche Methoden verwenden, um verlässlichere Ergebnisse zu erzielen.
Gut zu wissen
Ginkgo-biloba-Extrakt wird oral in Form von Dragees oder Tropfen verabreicht und ist üblicherweise auf einen Gehalt von 5 bis 7 % Terpenlactonen und 22 bis 27 % Flavonglycosiden standardisiert. Der am intensivsten untersuchte Ginkgo-Extrakt trägt die Bezeichnung EGb761®. Die empfohlene Standarddosierung liegt bei 40 mg dreimal täglich oder 80 mg zweimal täglich, wobei die maximale Tagesdosis 240 mg beträgt.1,2 Da die optimale Dosierung individuell variieren kann, sollte sie idealerweise mit einem Arzt oder Apotheker besprochen werden, besonders bei bestehenden Vorerkrankungen oder der Einnahme anderer Medikamente.
Quellen: