Medizinisches Cannabis: Zwischen Hoffnung und Herausforderung – Eine umfassende Analyse

Medizinisches Cannabis hat sich in den letzten Jahren von einer umstrittenen Droge zu einem Hoffnungsträger der modernen Medizin entwickelt. Doch wie wirksam ist es wirklich, und welche Risiken bringt es mit sich? Dieser Artikel beleuchtet wissenschaftliche Erkenntnisse, Anwendungsgebiete und die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland.

Eine Ärztin zeigt eine Flasche medizinisches Cannabisöl – ein Hoffnungsträger in der modernen Schmerztherapie und bei neurologischen Erkrankungen.

Cannabis in der Medizin: Hoffnungsträger oder Herausforderung? Eine Ärztin zeigt den Einsatz von Cannabisöl. Foto: Shutterstock

Vom Rohstoff zur Medizin: Cannabis im Wandel der Zeit

Die Hanfpflanze, Cannabis sativa, zählt zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit. Seit Jahrhunderten nutzen verschiedene Kulturen sie nicht nur als Rohstoff für Fasern und Öle, sondern auch wegen ihrer bewusstseinsverändernden Eigenschaften und ihrer Rolle als Heilpflanze. In Deutschland ist der Konsum von Cannabis seit April 2024 unter bestimmten Bedingungen legal. Bereits seit 2017 kann es als verschreibungspflichtiges Medikament eingesetzt werden. Doch ob Cannabis tatsächlich ein wirksames Medikament ist, bleibt weiterhin umstritten.

Dieser Artikel liefert einen fundierten Überblick über den aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zur medizinischen Nutzung von Cannabis. Welche Inhaltsstoffe der Pflanze sind medizinisch relevant, und bei welchen Krankheiten könnte Cannabis helfen? Wir betrachten die wichtigsten Anwendungsgebiete, beleuchten mögliche Nebenwirkungen und Risiken und werfen einen Blick auf die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die Zukunft der Cannabisforschung.

Die Cannabispflanze und ihre medizinisch relevanten Inhaltsstoffe

Ursprünglich aus der Himalaya-Region stammend, hat sich die Hanfpflanze im Laufe der Jahrhunderte weltweit verbreitet. Sie gehört zur Familie der Cannabaceae und ist leicht an ihren charakteristischen handförmig geteilten Blättern und unscheinbaren grünlich-gelben Blüten zu erkennen.

In der traditionellen Medizin wurde Cannabis vielseitig eingesetzt, etwa zur Behandlung rheumatischer Beschwerden oder zur Schmerzlinderung. Besonders in Indien spielte die Pflanze eine zentrale Rolle in der Heilkunde. Heute wird Cannabis in der modernen Medizin in standardisierten Darreichungsformen wie Ölen, Kapseln oder getrockneten Blüten verwendet.

Die therapeutische Wirkung von Cannabis beruht vor allem auf den Cannabinoiden, einer Gruppe bioaktiver Verbindungen, die in der Pflanze enthalten sind. Im Mittelpunkt der medizinischen Forschung stehen dabei insbesondere:

  • Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC): Dieses Cannabinoid ist für die psychoaktive Wirkung von Cannabis verantwortlich. Darüber hinaus besitzt es entzündungshemmende Eigenschaften und wird in der Schmerztherapie eingesetzt.
  • Cannabidiol (CBD): Im Gegensatz zu THC ist CBD nicht psychoaktiv. Es wirkt beruhigend, entzündungshemmend und angstlösend und wird zunehmend in medizinischen Therapien verwendet.

Zusätzlich enthält die Cannabispflanze weitere Cannabinoide wie Cannabichromen (CBC) und Cannabigerol (CBG), die ebenfalls pharmakologisch interessant sind, jedoch weniger intensiv erforscht wurden. Besonders reich an THC, CBD, CBC und CBG sind die Blütenknospen der Pflanze.2

Neben Cannabinoiden umfasst Cannabis Hunderte von weiteren Phytochemikalien, darunter Flavonoide, Terpenoide, Phytocannabinoide, Alkaloide, Glykoproteine und Phytosteroide. Diese Verbindungen könnten die Gesamtheit der therapeutischen Wirkung von Cannabis unterstützen, sind jedoch bislang weniger umfassend untersucht.1,2

Die medizinische Forschung konzentriert sich auf die Wirkmechanismen der Hauptbestandteile THC und CBD sowie deren potenzielle Anwendungen bei unterschiedlichen Erkrankungen. Gleichzeitig bleiben wichtige Fragen zur optimalen Dosierung, Sicherheit und Langzeitwirkung offen, die für eine breitere Nutzung entscheidend sind.

Darreichungsformen von medizinischem Cannabis

Medizinisches Cannabis ist in verschiedenen Darreichungsformen erhältlich, die je nach therapeutischem Ziel und den Vorlieben der Patienten angewendet werden können:

1. Cannabisblüten

Cannabisblüten werden inhaliert oder vaporisiert (verdampft), um schnelle Linderung bei Symptomen wie Schmerzen und Übelkeit zu erreichen. Diese Form ist in Deutschland seit einigen Jahren verschreibungsfähig und wird vor allem bei chronischen Schmerzen und neurologischen Erkrankungen eingesetzt.

2. Cannabisöle

Extrakte aus der Cannabis-Pflanze, die in Form von Ölen oder Tinkturen verabreicht werden, ermöglichen eine kontrollierte Dosierung von Cannabinoiden wie THC und CBD. Diese Form wird häufig von Patienten bevorzugt, die das Inhalieren vermeiden möchten.

3. Fertigarzneimittel

Standardisierte Fertigarzneimittel auf Cannabinoid-Basis bieten eine präzise Dosierung. In Deutschland sind unter anderem folgende zugelassen:

  • Nabilon: Ein synthetisches Cannabinoid, das bei bestimmten Formen von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt wird.
  • Nabiximols: Ein Extrakt aus Cannabis sativa (THC/CBD), das zur Behandlung von Spastik bei Multipler Sklerose (MS) verwendet wird.3

4. Lokale (topische) Anwendungen

Cannabis-basierte Cremes und Salben eignen sich für die lokale Behandlung von Schmerzen und Entzündungen. Sie werden insbesondere bei dermatologischen oder muskuloskeletalen Beschwerden angewendet.

Die medizinische Nutzung von Cannabis erfordert eine sorgfältige Abwägung der Vorteile und potenziellen Nebenwirkungen. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Gehalt an THC und CBD sowie möglichen psychischen oder kardiovaskulären Risiken.4

Von der Heilpflanze zur Therapieoption: Cannabis birgt Chancen und Herausforderungen zugleich.

Cannabis in der Schmerztherapie

Cannabinoide werden zunehmend zur Behandlung von chronischen Schmerzen eingesetzt, insbesondere bei neuropathischen Schmerzen, die durch Schädigungen des Nervensystems entstehen. Studien zeigen, dass Wirkstoffe wie THC und CBD schmerzlindernde Effekte entfalten können, indem sie über das Endocannabinoid-System (ECS) die Übertragung von Schmerzsignalen hemmen.

Mehrere Untersuchungen deuten darauf hin, dass Cannabis im Vergleich zu Placebo eine wirksame Option für die Behandlung chronischer Schmerzen sein könnte. Eine Cochrane-Analyse kam jedoch zu dem Schluss, dass der Effekt von Cannabinoiden bei neuropathischen Schmerzen eher mäßig ausgeprägt ist und mit einer hohen Nebenwirkungsrate einhergeht.3,6

Aktuell gelten Opioide als Standardmedikamente für die Behandlung chronischer Schmerzen, obwohl ihr Einsatz aufgrund von Nebenwirkungen und einem hohen Suchtpotenzial problematisch ist. Medizinisches Cannabis bietet ein vielversprechendes Potenzial als Alternative, doch es bestehen weiterhin Herausforderungen in Bezug auf Standardisierung der Präparate, exakte Dosierung, langfristige Sicherheit und mögliche Nebenwirkungen.2

Cannabis bei neurologischen Erkrankungen

Cannabis wird auch bei neurologischen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS), Epilepsie und neurodegenerativen Erkrankungen eingesetzt.

Besonders gut untersucht ist die Wirkung von Cannabis auf die Spastik bei MS, also die krankhaft erhöhte Muskelspannung. Viele Betroffene berichten von einer subjektiven Verbesserung der Symptome durch Cannabinoide. Klinische Studien bestätigen diese Effekte teilweise, doch die Evidenzlage bleibt gemischt, insbesondere in Bezug auf die Langzeitbehandlung von MS-Patienten.3,6

Seit 2019 ist Epidyolex, ein CBD-basiertes Medikament, zur Behandlung epileptischer Anfälle bei Kindern ab 2 Jahren mit Dravet- oder Lennox-Gastaut-Syndrom zugelassen.3,7 Diese Zulassung unterstreicht das Potenzial von Cannabinoiden in der Behandlung spezifischer neurologischer Störungen. Laut einer Übersichtsarbeit von Leinen et al. (2023) kann die kurzfristige Einnahme von Cannabis außerdem bestimmte Symptome bei Erkrankungen wie amyotropher Lateralsklerose (ALS), Alzheimer- und Parkinson-Krankheit sowie Schizophrenie vorübergehend lindern.

Trotz der positiven Effekte, die in kontrollierten Szenarien beobachtet wurden, gibt es weiterhin Bedenken hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen von Cannabiskonsum. Ein übermäßiger oder unkontrollierter Gebrauch kann potenziell negative Auswirkungen auf die psychische und physiologische Gesundheit haben.2

Medizinisches Cannabis in der Onkologie

In der komplementären Onkologie wird Cannabis vor allem zur Linderung von Übelkeit und Erbrechen eingesetzt, die während einer Chemotherapie auftreten können. Diese Anwendung wird durch mehrere Studien gestützt, die zeigen, dass Cannabinoid-Therapien eine signifikante Reduktion dieser Symptome bewirken können – insbesondere bei Patienten, die auf herkömmliche Antiemetika nicht ausreichend ansprechen.3,6

Eine Übersichtsarbeit deutscher Autoren aus dem Jahr 2023 zieht jedoch ein gemischtes Fazit: „Trotz des enormen Hypes um Cannabis als Medizin ist die Evidenz für dessen Anwendung bei onkologischen Patienten unzureichend. Palliativpatienten mit refraktären Symptomen könnten jedoch geeignete Kandidaten für einen Therapieversuch darstellen.“8

Cannabis bei psychischen Störungen

Medizinisches Cannabis, insbesondere CBD, zeigt vielversprechende Ansätze bei der Behandlung psychischer Störungen. Eine Pilotstudie ergab, dass bei fast einem Viertel der Behandelten der Schweregrad der Depression halbiert werden konnte.9 Auch weitere Studien weisen darauf hin, dass CBD angstlösende und antidepressive Eigenschaften haben könnte.

Die Anwendung von Cannabis bei psychischen Erkrankungen wie Angststörungen, posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) und Depressionen ist jedoch nicht ohne Risiken. Es bestehen Bedenken, dass Cannabis psychotische Episoden auslösen oder bestehende psychische Störungen verschlimmern könnte. Diese widersprüchlichen Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die potenziellen Nutzen und Risiken besser zu verstehen und zu bewerten.3,6

Weitere Anwendungsgebiete von medizinischem Cannabis

Cannabinoide wurden in verschiedenen Studien auch für andere medizinische Indikationen untersucht. Eine umfassende Übersicht bieten die Arbeiten von Wolfe et al. (2023) und Grotenhermen (2022).4,6 Zu den getesteten Einsatzbereichen gehören:

  • Appetitstimulation: Cannabinoide werden zur Steigerung des Appetits bei Senioren, AIDS- oder Krebspatienten eingesetzt, insbesondere bei Fällen von Gewichtsverlust und Anorexie.
  • Grüner Star (Glaukom): Cannabis kann den Augeninnendruck senken, was es zu einer potenziellen Therapie bei Glaukom macht. Die Anwendung ist jedoch aufgrund der kurzen Wirkdauer und möglicher Nebenwirkungen eingeschränkt.
  • Entzündliche Darmerkrankungen: Erste Studien legen nahe, dass die entzündungshemmende Wirkung von Cannabinoiden bei Erkrankungen wie Morbus Crohn hilfreich sein könnte.

Nebenwirkungen und Risiken der medizinischen Nutzung von Cannabis

Die medizinische Verwendung von Cannabis ist mit einer Reihe von Nebenwirkungen und Risiken verbunden, die sowohl kurzfristige als auch langfristige Auswirkungen umfassen. Diese wurden in mehreren Übersichtsarbeiten ausführlich dokumentiert.6,10,11

1. Kurzfristige Nebenwirkungen

Zu den häufigsten kurzfristigen Nebenwirkungen zählen:

  • Kognitive Beeinträchtigungen: Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen
  • Psychische Effekte: Angst und Paranoia, verursacht durch THC, das über CB1-Rezeptoren im Gehirn die Neurotransmission beeinflusst
  • Kardiovaskuläre Effekte: Herzrhythmusstörungen (Tachykardie) und Blutdruckschwankungen, die bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen problematisch sein können
  • Weitere akute Effekte: Müdigkeit, Hypotonie (niedriger Blutdruck), Übelkeit, Schwindel, gastrointestinale Beschwerden und eine Beeinträchtigung der psychomotorischen Fähigkeiten

2. Langfristige Risiken

Der regelmäßige Konsum von Cannabis kann langfristig zur Entwicklung einer Abhängigkeit führen. Zwar ist das Suchtpotenzial von Cannabis geringer als das anderer Drogen wie Opioide oder Kokain, dennoch kann die langfristige Exposition gegenüber Cannabisrauch, THC oder anderen CB1-Rezeptoragonisten eine Abhängigkeit auslösen, die als Cannabis-Use-Disorder (CUD) bezeichnet wird.

Cannabis-Use-Disorder (CUD) ist eine klinische Diagnose, die gestellt wird, wenn unkontrollierter Cannabiskonsum zu negativen Konsequenzen führt, wie beispielsweise:

  • Kontrollverlust
  • Soziale und berufliche Beeinträchtigungen
  • Entzugssymptome

Die Diagnose erfolgt in der Regel, wenn eine Person innerhalb eines Jahres mehrere dieser Kriterien erfüllt.

3. Neurokognitive und psychische Schäden

Längerer Cannabiskonsum kann das Risiko für Angstzustände, Depressionen und Psychosen (insbesondere bei genetischer Prädisposition) erhöhen. Besonders Jugendliche sind gefährdet, da wiederholter Konsum dauerhafte Veränderungen der Gehirnfunktion hervorrufen kann, die sich negativ auf schulische, berufliche und soziale Leistungen auswirken.

4. Weitere Risiken

Ein weiteres Risiko bei der Verwendung von Cannabis sind mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Diese können zu unerwünschten Nebenwirkungen führen oder die Wirksamkeit der Medikation beeinträchtigen.

Darüber hinaus sollten Cannabinoide bei Schwangeren und stillenden Frauen vermieden werden, da sie das Risiko für ein verringertes Geburtsgewicht und neurologische Entwicklungsstörungen beim Neugeborenen erhöhen können.

Das Rauchen von Cannabis birgt zudem Gefahren für die Atemwege, da es Entzündungen und Lungenprobleme verursachen kann, was das Risiko für eine chronische Bronchitis erhöht.

Psychoaktive Wirkung von Cannabis

Neben der medizinischen Nutzung ist Cannabis seit Jahrhunderten für seine psychoaktiven Eigenschaften bekannt. Schon in der Antike wurde die Pflanze in religiösen und rituellen Kontexten verwendet, um Bewusstseinsveränderungen herbeizuführen. In der Neuzeit etablierte sich Cannabis vor allem als Freizeitdroge. THC ist der Hauptwirkstoff, der den typischen „Cannabis-Rausch“ auslöst. Konsumiert wird es meist durch das Rauchen getrockneter Blüten (Marihuana) oder von Cannabisharz (Haschisch), häufig in Kombination mit Tabak.1,2

Der Freizeitkonsum von Cannabis und seiner psychoaktiven Bestandteile wie THC ist in vielen Ländern gesetzlich reguliert und kann mit gesundheitlichen Risiken wie Abhängigkeitsentwicklung, kognitiven Beeinträchtigungen und psychischen Belastungen verbunden sein.

Zukunft der medizinischen Cannabisforschung

Die Forschung zu medizinischem Cannabis schreitet rasch voran. Zahlreiche neue Präparate, Therapieansätze und Indikationen werden derzeit untersucht. Zu den innovativen Entwicklungen gehören synthetische Cannabinoide und Kombinationen aus THC und CBD, die als potenzielle Alternative zu Opioiden in der Schmerztherapie erforscht werden. Diese Kombination könnte eine sicherere Behandlungsoption darstellen, da CBD gezeigt hat, dass es einige der unerwünschten psychoaktiven Effekte von THC abschwächen kann.12

Ein weiteres vielversprechendes Forschungsfeld ist der Einsatz von Cannabinoiden bei Knochenerkrankungen wie Osteoporose und Osteoarthritis. Präklinische Studien deuten darauf hin, dass Cannabinoide den Knochenstoffwechsel positiv beeinflussen und das Fortschreiten dieser Erkrankungen verlangsamen könnten.13 Auch bei neuroinflammatorischen Erkrankungen, beispielsweise nach einem Schädel-Hirn-Trauma, wird die Rolle von Cannabinoiden untersucht. Erste Ergebnisse legen nahe, dass Cannabinoide neuroprotektiv wirken und die Entwicklung neurodegenerativer Erkrankungen nach einem Trauma verhindern könnten.14

Trotz dieser Fortschritte gibt es zahlreiche offene Fragen, die weiterer Untersuchung bedürfen:

  • Dosierung und Nebenwirkungsprofil: Insbesondere bei Langzeitanwendung fehlen detaillierte Erkenntnisse zu sicheren Dosierungen und möglichen Nebenwirkungen.
  • Wirkmechanismen: Die genaue Wirkung von Cannabinoiden auf das Endocannabinoid-System und andere physiologische Prozesse ist noch nicht vollständig geklärt, was die Entwicklung präziser und sicherer Therapien erschwert.2
  • Untersuchung weiterer Cannabinoide: Von den über 100 in der Cannabispflanze enthaltenen Cannabinoiden sind viele noch kaum erforscht. Diese könnten neue therapeutische Möglichkeiten eröffnen, etwa bei Epilepsie, psychotischen Störungen, Angstzuständen oder Schlafstörungen.
  • Wechselwirkungen mit dem Immunsystem: Auch die entzündungshemmenden Eigenschaften von Cannabinoiden und ihre Interaktion mit dem Immunsystem müssen weiter untersucht werden.

Cannabis Legalisierung in Deutschland

Seit dem 1. April 2024 ist Cannabis für Erwachsene in Deutschland teilweise legalisiert. Dies betrifft jedoch ausschließlich den privaten Eigenanbau und den Konsum von Genusscannabis. Medizinisches Cannabis bleibt weiterhin verschreibungspflichtig und unterliegt strengen Regulierungen.

Ärzte können Cannabis für therapeutische Zwecke auf einem normalen Kassenrezept oder eRezept verschreiben, vor allem bei schweren Erkrankungen wie:

  • Chronischen Schmerzen
  • Multipler Sklerose
  • Übelkeit infolge einer Chemotherapie

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Verordnung von medizinischem Cannabis vereinfacht, indem der Genehmigungsvorbehalt der Krankenkassen für viele Fachärzte aufgehoben wurde.15,16,17

Patienten können medizinisches Cannabis ausschließlich auf ärztliches Rezept erhalten. Nach der Verschreibung wird es in Apotheken ausgegeben, die auch für die Beratung und Aufklärung zur richtigen Anwendung zuständig sind. Die Kostenübernahme durch Krankenkassen erfolgt in der Regel nur bei schwerwiegenden Erkrankungen und nach ausführlicher ärztlicher Begründung. Während die Erstverordnung häufig noch von der Krankenkasse genehmigt werden muss, entfällt dieser Schritt bei Folgeverordnungen zunehmend.15,18

Eine umfassende Übersicht zur Gesetzeslage, den Verschreibungsmöglichkeiten und dem therapeutischen Potenzial von cannabisbasierten Medikamenten bietet Grotenhermen (2022).4

Fazit

Cannabis ist eine Pflanze mit einer jahrtausendealten Geschichte, die inzwischen ihren festen Platz in der modernen Medizin gefunden hat. Mit der Legalisierung von Genusscannabis in Deutschland im Jahr 2024 wurde ein gesellschaftlicher Meilenstein gesetzt, der die Debatte um medizinische und therapeutische Anwendungen der Pflanze weiter befeuert.

Besonders Cannabinoide wie THC und CBD stehen im Fokus der medizinischen Forschung. Sie haben sich bei der Behandlung von chronischen Schmerzen, Übelkeit infolge einer Chemotherapie und neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie und Multipler Sklerose als vielversprechend erwiesen.

Doch trotz dieser Fortschritte bleiben offene Fragen: Wie wirken sich Cannabinoide langfristig auf den menschlichen Körper aus? Welche Dosierungen sind sicher und effektiv? Und wie lassen sich mögliche Nebenwirkungen besser kontrollieren? Aktuelle Studien zeigen zwar das Potenzial von Cannabinoiden, weisen aber auch auf die Risiken hin. Besonders bei Langzeitanwendungen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten ist weitere Forschung dringend erforderlich.

Cannabis könnte in der Zukunft eine noch größere Rolle in der Medizin spielen, doch die Antworten auf die offenen wissenschaftlichen Fragen werden entscheidend sein. Klar ist: Der verantwortungsvolle Umgang mit dieser Pflanze bleibt ein zentraler Aspekt – sowohl in der Forschung als auch in der praktischen Anwendung.

Quellen anzeigen
  1. Malabadi RB, Kolkar KP, Chalannavar RK. Cannabis sativa: Ethnobotany and phytochemistry. International Journal of Innovation Scientific Research and Review. 2023;5(2):3990-3998.
  2. Leinen ZJ, Mohan R, Premadasa LS, Acharya A, Mohan M, Byrareddy SN. Therapeutic Potential of Cannabis: A Comprehensive Review of Current and Future Applications. Biomedicines. 2023;11(10):2630.
  3. Maucher IM. Epidyolex (Cannabidiol) bei kindlicher Epilepsie. Gelbe Liste. October 10, 2019.
  4. Grotenhermen F. Medizinischer Nutzen von Cannabis und Cannabinoiden. Erfahrungsheilkunde. 2022;71(03):120-127.
  5. Rezende B, Alencar AKN, De Bem GF, Fontes-Dantas FL, Montes GC. Endocannabinoid System: Chemical Characteristics and Biological Activity. Pharmaceuticals. 2023;16(2):148.
  6. Wolfe D, Corace K, Butler C, et al. Impacts of medical and non-medical cannabis on the health of older adults: Findings from a scoping review of the literature. Baratta F, ed. PLOS ONE. 2023;18(2):e0281826.
  7. Abu-Sawwa R, Scutt B, Park Y. Emerging Use of Epidiolex (Cannabidiol) in Epilepsy. The Journal of Pediatric Pharmacology and Therapeutics. 2020;25(6):485-499.
  8. Burkhard-Meier A, Rémi C, Lindner LH, Von Bergwelt-Baildon M. Cannabis in der Onkologie – viel Rauch um nichts? Laryngo-Rhino-Otologie. 2023;102(08):578-584.
  9. Specka M, Bonnet U, Schmidberg L, et al. Effectiveness of Medical Cannabis for the Treatment of Depression: A Naturalistic Outpatient Study. Pharmacopsychiatry. 2024;57(02):61-68.
  10. Nugent SM, Morasco BJ, O’Neil ME, et al. The Effects of Cannabis Among Adults With Chronic Pain and an Overview of General Harms: A Systematic Review. Annals of Internal Medicine. 2017;167(5):319.
  11. Van Den Elsen GAH, Ahmed AIA, Lammers M, et al. Efficacy and safety of medical cannabinoids in older subjects: A systematic review. Ageing Research Reviews. 2014;14:56-64.
  12. Breijyeh Z, Jubeh B, Bufo SA, Karaman R, Scrano L. Cannabis: A Toxin-Producing Plant with Potential Therapeutic Uses. Toxins. 2021;13(2):117.
  13. Xin Y, Tang A, Pan S, Zhang J. Components of the Endocannabinoid System and Effects of Cannabinoids Against Bone Diseases: A Mini-Review. Frontiers in Pharmacology. 2022;12:793750.
  14. Lins BR, Anyaegbu CC, Hellewell SC, et al. Cannabinoids in traumatic brain injury and related neuropathologies: preclinical and clinical research on endogenous, plant-derived, and synthetic compounds. Journal of Neuroinflammation. 2023;20(1):77.
  15. Bundesministerium für Gesundheit (BMfG). Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz. 22.08.2024.
  16. Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA-Infodienst). G-BA regelt Verordnung von medizinischem Cannabis bei schweren Erkrankungen. 16.03.2023.
  17. Medicon Apotheke. Aktuelle Gesetzeslage zu Cannabis in Deutschland. 01.07.2024.
  18. Matzen U. Cannabis als Medikament: Wie ist die Rechtslage? Anwalt-Suchservice. 05.09.2024.
Dr. Markus Numberger, promovierter Neurowissenschaftler und medizinischen Fachautor, spezialisiert auf molekulare Neurobiologie, Komplementär- und Integrativmedizin sowie medizinische Kommunikation. Dr. rer. nat. Markus Numberger
Mit einer beeindruckenden Laufbahn, die ihn unter anderem ins Labor des Medizin-Nobelpreisträgers Bert Sakmann führte, ist Dr. Markus Numberger ein herausragender Experte in molekularer Neurobiologie. Seine wissenschaftliche Neugier und sein tiefgründiges Fachwissen, ergänzt durch Forschungsaufenthalte in den USA und an der Charité Berlin, ermöglichen es ihm, die Komplexität der Komplementär- und Integrativmedizin verständlich zu vermitteln.
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Fragen und Antworten

Wie wirken Cannabinoide im menschlichen Körper?

Cannabinoide, die aktiven Wirkstoffe der Cannabis-Pflanze, entfalten ihre Wirkung im menschlichen Körper hauptsächlich über das Endocannabinoid-System (ECS). Dieses körpereigene System spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulierung vieler physiologischer Prozesse, insbesondere solcher, die vom zentralen Nervensystem gesteuert werden. Dazu gehören Stimmung, Hunger, Gedächtnis, Schmerzempfinden und die Bildung neuer Nervenzellen (Neurogenese).

Das ECS besteht aus drei Hauptkomponenten:1,2,3

  • Cannabinoid-Rezeptoren: CB1-Rezeptoren befinden sich hauptsächlich im Gehirn und Rückenmark (zentralen Nervensystem). Sie sind verantwortlich für die psychoaktiven Wirkungen von Cannabinoiden und spielen eine Schlüsselrolle bei der Regulation von Schmerz, Appetit, Gedächtnis und Stimmung. CB2-Rezeptoren kommen überwiegend im peripheren Nervensystem und in Immunzellen vor. Sie regulieren entzündungshemmende Prozesse und Immunreaktionen.
  • Endogene Liganden (Endocannabinoide): Körpereigene Substanzen wie 2-Arachidonoylglycerin und Arachidonoylethanolamid binden an die Cannabinoid-Rezeptoren und aktivieren diese.
  • Enzyme: Diese Enzyme sind für die Synthese und den Abbau der Endocannabinoide verantwortlich, wodurch die Wirkung des ECS präzise gesteuert wird.

Pflanzliche Cannabinoide, wie sie in Cannabis vorkommen, können ebenfalls mit den CB1- und CB2-Rezeptoren interagieren. Sie aktivieren oder modulieren das ECS und beeinflussen so die genannten Prozesse. Durch diese enge Verbindung zwischen Cannabinoiden und dem ECS bietet die Cannabis-Pflanze ein vielversprechendes Potenzial für medizinische Anwendungen.

Quellen:

  1. Malabadi RB, Kolkar KP, Chalannavar RK. Cannabis sativa: Ethnobotany and phytochemistry. International Journal of Innovation Scientific Research and Review. 2023;5(2):3990-3998.
  2. Leinen ZJ, Mohan R, Premadasa LS, Acharya A, Mohan M, Byrareddy SN. Therapeutic Potential of Cannabis: A Comprehensive Review of Current and Future Applications. Biomedicines. 2023;11(10):2630.
  3. Rezende B, Alencar AKN, De Bem GF, Fontes-Dantas FL, Montes GC. Endocannabinoid System: Chemical Characteristics and Biological Activity. Pharmaceuticals. 2023;16(2):148.
Wie wirkt THC im Körper?

THC (Delta-9-Tetrahydrocannabinol) wirkt als partieller Agonist an CB1-Rezeptoren im zentralen Nervensystem. Durch die Aktivierung dieser Rezeptoren löst THC eine Reihe von Effekten aus, darunter:

  • Appetitsteigerung
  • Verändertes Zeitempfinden
  • Euphorie

Diese Eigenschaften machen THC auch zur häufig genutzten Substanz in Freizeitdrogen. Medizinisch wird THC jedoch vor allem für seine schmerzlindernden, antiemetischen (gegen Übelkeit) und appetitanregenden Eigenschaften eingesetzt.1,2

Quellen:

  1. Malabadi RB, Kolkar KP, Chalannavar RK. Cannabis sativa: Ethnobotany and phytochemistry. International Journal of Innovation Scientific Research and Review. 2023;5(2):3990-3998.
  2. Rezende B, Alencar AKN, De Bem GF, Fontes-Dantas FL, Montes GC. Endocannabinoid System: Chemical Characteristics and Biological Activity. Pharmaceuticals. 2023;16(2):148.
Wie unterscheidet sich CBD in seiner Wirkung von THC?

CBD (Cannabidiol) bindet nicht direkt an CB1- oder CB2-Rezeptoren, sondern wirkt als negativ allosterischer Modulator. Das bedeutet, dass es die Wirkung anderer Substanzen, die an diese Rezeptoren binden, beeinflusst. Statt direkt auf das Endocannabinoid-System zu wirken, interagiert CBD auch mit anderen Rezeptorsystemen, wie dem Serotonin-System, und entfaltet dadurch:

  • Angstlösende (anxiolytische) Wirkungen
  • Entzündungshemmende Eigenschaften durch die Regulation von Zytokinen und Entzündungsmediatoren

Im Gegensatz zu THC ist CBD nicht psychoaktiv und verursacht kein „High“, was es zu einer beliebten Option für medizinische Anwendungen macht.1,2

Quellen:

  1. Malabadi RB, Kolkar KP, Chalannavar RK. Cannabis sativa: Ethnobotany and phytochemistry. International Journal of Innovation Scientific Research and Review. 2023;5(2):3990-3998.
  2. Rezende B, Alencar AKN, De Bem GF, Fontes-Dantas FL, Montes GC. Endocannabinoid System: Chemical Characteristics and Biological Activity. Pharmaceuticals. 2023;16(2):148.
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