US-Daten zeigen hohe Verbreitung bestimmter Pflanzenstoffe – mögliche Leberrisiken wenig beachtet

Pflanzliche Präparate wie Kurkuma, Ashwagandha oder Rotschimmelreis werden von Millionen Menschen regelmäßig eingenommen – meist ohne ärztlichen Rat. Einige dieser Stoffe stehen im Verdacht, leberschädigend zu wirken. Die Forschenden fordern mehr Aufklärung und Regulierung.

Vielfältige pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel in Kapsel- und Tablettenform – mögliche Risiken für die Leber durch unkontrollierte Einnahme.

Farbenfrohe Kapseln und Tabletten – viele davon mit natürlichen Inhaltsstoffen wie Kurkuma, Ashwagandha oder Rotschimmelreis. Doch was gesund klingt, kann bei falscher Anwendung Risiken bergen. Foto: Shutterstock

„Natürlich“ ist nicht gleich „unbedenklich“

Nahrungsergänzungsmittel mit pflanzlichen Inhaltsstoffen gelten in der breiten Öffentlichkeit als gesund und risikolos. Doch dieser Eindruck täuscht mitunter. Eine aktuelle US-Studie beleuchtet, wie viele Menschen regelmäßig zu bestimmten pflanzlichen Präparaten greifen – und dabei potenziell gesundheitliche Risiken eingehen. Besonders im Fokus: mögliche leberschädigende Effekte.

Einige der untersuchten Substanzen tauchen bereits seit Jahren in medizinischen Fallberichten auf. Dennoch wird kaum öffentlich über ihre Risiken gesprochen. Weder Verbraucher noch medizinisches Fachpersonal scheinen ausreichend über mögliche Nebenwirkungen informiert zu sein.

Methodik: Repräsentative US-Daten als Grundlage

Eine im August 2024 im Fachjournal JAMA Network Open veröffentlichte Studie hat erstmals detaillierte Daten zum Konsum von sechs pflanzlichen Substanzen erhoben, die in der Fachliteratur mit potenziellen leberschädigenden Wirkungen in Verbindung gebracht werden.1

Die Wissenschaftler analysierten Daten aus der National Health and Nutrition Examination Survey (NHANES), einer der wichtigsten bevölkerungsrepräsentativen Erhebungen der USA. Insgesamt flossen die Angaben von 9.685 Erwachsenen in die Auswertung ein.

Im Fokus standen folgende Substanzen:

  • Kurkuma (Curcumin)
  • Grüntee-Extrakt
  • Ashwagandha (Withania somnifera)
  • Garcinia cambogia
  • Rotschimmelreis (Monacolin K)
  • Traubensilberkerze

Ziel war es nicht, die Wirksamkeit oder Schädlichkeit der Präparate zu bewerten, sondern deren Verbreitung zu erfassen – und damit die potenzielle Exposition einer gesamten Bevölkerungsschicht gegenüber Stoffen mit möglichem Risiko.

Studie zeigt: Millionen greifen zu potenziell riskanten Präparaten

Die Analyse ergab, dass 57,6 % der Befragten Nahrungsergänzungsmittel einnahmen; 4,7 % konsumierten mindestens einen der sechs untersuchten Wirkstoffe. Am häufigsten griffen sie zu Kurkuma-Präparaten, gefolgt von Grüntee-Extrakt, Ashwagandha, Garcinia cambogia, Rotschimmelreis und Traubensilberkerze. Die Nutzer dieser Produkte waren im Schnitt älter, bildungsnäher und litten häufiger an Arthritis als Nicht-Konsumenten. Die meisten gaben an, die Präparate ohne ärztliche Rücksprache einzunehmen.

Auf Basis ihrer repräsentativen Stichprobe schätzen die Studienautoren, dass monatlich mehr als 15 Millionen US-Amerikaner Nahrungsergänzungsmittel mit mindestens einem der sechs untersuchten Inhaltsstoffe verwenden. Das entspricht etwa der Zahl jener Patienten, denen regelmäßig potenziell leberschädigende Medikamente wie Simvastatin oder nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) verschrieben werden.

Kein Alarmismus – aber ein gefährliches Informationsvakuum

Die Studienautoren betonen: Die Untersuchung erhebt keinen Anspruch auf eine Risikobewertung. Es wurden keine Leberwerte gemessen, keine klinischen Verläufe analysiert. Und dennoch ist die Aussage brisant: Wenn Millionen Menschen regelmäßig potenziell heikle Präparate einnehmen, ohne dass darüber gesprochen wird, entsteht ein gefährliches Vakuum.

Denn anders als Arzneimittel unterliegen Nahrungsergänzungsmittel in vielen Ländern keiner strengen Zulassungspflicht. Inhaltsstoffe sind teils unvollständig deklariert, Dosierungen variieren stark, Warnhinweise fehlen häufig.

Wofür werden die Pflanzentoffe überhaupt eingenommen?

Die Präparate werden gezielt bei bestimmten Beschwerden eingesetzt – oft mit dem Versprechen „natürlicher Heilung“:

  • Kurkuma & Grüntee: zur Unterstützung von Gelenken, Gehirn und Immunsystem
  • Ashwagandha: gegen Stress, Schlafstörungen, Bluthochdruck, Libidoverlust
  • Garcinia cambogia: als Appetitzügler und Diäthilfe
  • Rotschimmelreis: zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte
  • Traubensilberkerze: zur Linderung von Wechseljahresbeschwerden

Ärztliche Aufklärung oft unzureichend

Laut den Autoren der Studie sei es „unverzichtbar“, dass medizinisches Personal gezielt nach solchen Präparaten frage – gerade bei unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Druckgefühl im rechten Oberbauch, Gelbfärbung der Haut oder auffälligen Leberwerten. Doch die Realität sieht anders aus: In vielen Anamnesebögen tauchen Nahrungsergänzungsmittel nicht einmal als Frage auf.

Die Konsequenz: Leberschäden pflanzlicher Ursache könnten unentdeckt bleiben – oder falsch diagnostiziert werden.

Fazit: Ein Weckruf für Politik, Ärzte und Verbraucher

Die Gleichsetzung von „natürlich“ mit „ungefährlich“ greift zu kurz. Die aktuelle Analyse zeigt: Millionen Menschen nehmen pflanzliche Substanzen ein, über deren potenzielle Risiken sie oft nicht ausreichend informiert sind. Die Studienautoren plädieren nicht für Verbote – sondern für bessere Kennzeichnung, stärkere Qualitätskontrollen und umfassendere Aufklärung von Seiten der Politik, des Gesundheitssystems und der Hersteller.

Denn nur so lasse sich verhindern, dass ein vermeintlich harmloser Trend zur gesundheitlichen Belastung wird.

Quellen anzeigen
  1. Likhitsup A, Chen VL, Fontana RJ. Estimated Exposure to 6 Potentially Hepatotoxic Botanicals in US Adults. JAMA Network Open. 2024 Aug 1;7(8):e2425822.
Dr. Markus Numberger, promovierter Neurowissenschaftler und medizinischen Fachautor, spezialisiert auf molekulare Neurobiologie, Komplementär- und Integrativmedizin sowie medizinische Kommunikation. Dr. rer. nat. Markus Numberger
Mit einer beeindruckenden Laufbahn, die ihn unter anderem ins Labor des Medizin-Nobelpreisträgers Bert Sakmann führte, ist Dr. Markus Numberger ein herausragender Experte in molekularer Neurobiologie. Seine wissenschaftliche Neugier und sein tiefgründiges Fachwissen, ergänzt durch Forschungsaufenthalte in den USA und an der Charité Berlin, ermöglichen es ihm, die Komplexität der Komplementär- und Integrativmedizin verständlich zu vermitteln.
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