

Anbieter versprechen Zellverjüngung durch einen Tropf. Doch Studien zeigen: Wer wirklich länger jung bleiben will, braucht kein Labor – sondern Laufschuhe.
NAD⁺-Infusionen gelten als neuer Hoffnungsträger im Anti-Aging – doch Experten bleiben skeptisch. Was wirklich jung hält, hat weniger mit Tropf als mit Training zu tun. Foto: Shutterstock
NAD⁺ klingt harmlos, fast technisch. Doch das kleine Molekül ist zum Symbol einer großen Verheißung geworden: Langlebigkeit per Infusion, verpackt als „Drip Therapy“ in stilisierten Lounge-Praxen – oft für mehrere Hundert Euro pro Sitzung. Der Versprechensrahmen ist gewaltig: mehr Energie, bessere Zellerneuerung, Schutz vor Alzheimer, sogar eine Verlangsamung des Alterungsprozesses.
Was wie eine medizinische Revolution klingt, wird inzwischen auch in deutschen Städten ganz selbstverständlich angeboten. NAD⁺, so das Versprechen, soll das Altern an der Wurzel packen. Doch eine tiefere Recherche zeigt: Viele dieser Versprechen halten dem aktuellen Forschungsstand kaum stand. Und was tatsächlich helfen kann, hat nichts mit Tropf oder Tablette zu tun – sondern mit Schweiß.
NAD⁺ (Nicotinamid-Adenin-Dinukleotid) ist ein lebenswichtiges Molekül, das in allen Körperzellen vorkommt.1 Es spielt eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel – also bei der Frage, wie unsere Zellen Energie gewinnen und nutzen. Seine Hauptaufgabe ist der Transport von Wasserstoff und Elektronen bei chemischen Reaktionen in der Zelle, etwa während der Glykolyse, im Citratzyklus und in der Atmungskette – den wichtigsten Prozessen unserer zellulären Energieproduktion.2
Dabei pendelt NAD⁺ ständig zwischen zwei Zuständen: der oxidierten Form (NAD⁺) und der reduzierten Form (NADH).
Der Körper kann NAD⁺ selbst herstellen. Der wichtigste Weg ist dabei der sogenannte Salvage Pathway: Hier wird Nicotinamid (NAM) – eine Form von Vitamin B3 – wiederverwendet und über eine Zwischenstufe namens NMN (Nicotinamid-Mononukleotid) in NAD⁺ umgewandelt.2,3 Besonders aktiv sind dabei Leber und Nieren, die diese Vorstufen aufnehmen, verarbeiten und dem Körper zur Verfügung stellen.3
NAD⁺ ist jedoch nicht nur für den Energiestoffwechsel wichtig. Es beeinflusst auch Alterungsprozesse und hilft dem Körper, auf zellulären Stress zu reagieren – etwa bei Entzündungen oder Schäden im Erbgut.3,4
Kein Wunder also, dass NAD⁺ immer stärker in den Fokus rückt – schließlich versprechen sich viele davon nichts weniger als eine Verlangsamung des Alterns.
Da NAD⁺ selbst im Körper schnell zerfällt, setzen viele Forscher und Anbieter auf Vorstufen wie NMN, NR (Nicotinamid-Ribosid) oder NA (Nicotinsäure bzw. Niacin). Diese gelten als stabiler – und lassen sich einfacher als Kapsel oder Infusion verabreichen.5
Mit zunehmendem Alter sinkt der NAD⁺-Spiegel im Körper deutlich.1,6 Besonders auffällig ist dieser Rückgang bei Männern mittleren Alters, wie eine große Bevölkerungsstudie ergab.7
Ein zentraler Grund dafür liegt im sogenannten zirkadianen System – unserer inneren biologischen Uhr.1 Diese steuert über spezielle Proteine wie BMAL1 und CLOCK die Aktivität des Enzyms NAMPT, das maßgeblich an der NAD⁺-Produktion beteiligt ist. Wenn dieses System im Alter schwächer arbeitet, sinkt auch die NAD⁺-Produktion.
Gleichzeitig steigt mit den Jahren die Aktivität von NAD⁺-verbrauchenden Enzymen wie PARP1 und CD38.6,8 Sie konkurrieren mit anderen NAD⁺-abhängigen Prozessen – und führen so zu einem messbaren Verlust an zellularem NAD⁺.
Das hat Konsequenzen: Sogenannte Sirtuine – Enzyme, die für Stoffwechsel, DNA-Reparatur und Zellschutz verantwortlich sind – sind auf NAD⁺ angewiesen.1 Sinkt dessen Verfügbarkeit, lässt auch ihre Schutzfunktion nach. Das kann zur Zellalterung beitragen und das Risiko für altersassoziierte Erkrankungen wie Alzheimer, Diabetes Typ 2, Fettleber, Muskelschwäche oder Herz-Kreislauf-Probleme erhöhen.3,5,8
Allerdings: Die Rolle der Sirtuine als echte „Langlebigkeitsfaktoren“ ist wissenschaftlich umstritten. Studien an Modellorganismen konnten frühere Hoffnungen teils nicht bestätigen – und auch beim Menschen ist eine lebensverlängernde Wirkung bislang nicht eindeutig belegt.9 Zudem deuten neue Erkenntnisse darauf hin, dass die beobachteten Effekte nicht allein über Sirtuine, sondern auch über andere zelluläre Mechanismen vermittelt werden.
Sinkende NAD⁺-Spiegel im Alter können sich spürbar auf die Herz-Kreislauf-Gesundheit auswirken.10,11 Das zeigt unter anderem eine Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2020: Ältere Menschen mit dekompensierter Herzinsuffizienz wiesen deutlich niedrigere NAD⁺-Blutwerte auf als gesunde Kontrollpersonen.12
Umgekehrt legen aktuelle Forschungsergebnisse nahe, dass eine gezielte Supplementierung mit NAD⁺ oder seinen Vorstufen die Herzfunktion positiv beeinflussen könnte – zumindest unter bestimmten Bedingungen.
Mehrere Studien zeigen: Im Alter sinkt der NAD⁺-Spiegel auch im Gehirn – und das könnte Folgen haben. Denn ein niedriger NAD⁺-Status wird mit kognitiven Einschränkungen und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson in Verbindung gebracht.16
Am Massachusetts General Hospital wurde in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie untersucht, ob sich diese Prozesse durch NAD⁺-Vorstufen beeinflussen lassen.17 Über mehrere Wochen erhielten Probanden ab 55 Jahren mit subjektiven Gedächtnisproblemen den Wirkstoff NR (Nicotinamid-Ribosid). Das Ergebnis: Ein Alzheimer-Biomarker – phosphoryliertes Tau (pTau217) – ging nach der Supplementierung zurück. Eine spürbare Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit blieb jedoch aus.
In einer weiteren Phase-2-Studie an der University of California erhielten Alzheimer-Patienten im Frühstadium über 48 Wochen hochdosiertes Nicotinamid.18 Die Behandlungsgruppe zeigte eine langsamere Verschlechterung ihres Gesundheitszustands im Vergleich zur Placebogruppe. Allerdings blieb der erhoffte Effekt auf biologische Krankheitsmarker aus – etwa auf bestimmte Eiweiße im Gehirn, die typisch für Alzheimer sind.
Präklinische Untersuchungen zeigen hingegen: NAD⁺ könnte die Alzheimer-Erkrankung auf zellulärer Ebene beeinflussen, etwa indem es die Autophagie (also die „Selbstreinigung“ der Zellen) ankurbelt und dabei hilft, krankmachende Tau-Proteine besser abzubauen.19,20
Bei Parkinson zeigt sich ein etwas klareres Bild: Eine 2025 veröffentlichte Studie mit einem Kombinationspräparat (NR, L-Serin, L-Carnitin, N-Acetylcystein) führte bei betroffenen Patienten zu signifikanten Verbesserungen der kognitiven Funktionen – vor allem bei jenen mit bereits ausgeprägten Defiziten.21 Die motorischen Symptome blieben dabei jedoch unverändert. Eine frühere Studie aus dem Jahr 2022 kam zu ähnlichen Ergebnissen.22
NAD⁺-Vorstufen wie NMN (Nicotinamid-Mononukleotid) und NR (Nicotinamid-Ribosid) wurden auch in Zusammenhang mit anderen altersbedingten Erkrankungen untersucht – von neurologischen Störungen bis hin zu Gefäßproblemen.
Klinische Studien zeigen: NAD⁺-Vorstufen wie NMN (bis zu 1250 mg pro Tag) und NR (bis zu 1000 mg pro Tag) gelten in diesen Dosierungen als gut verträglich.33,34,35 Auch NAM (Nicotinamid) wird laut einem aktuellen Übersichtsartikel selbst in Mengen bis zu 3 Gramm pro Tag als sicher eingestuft.36 Anders sieht es bei NA (Nicotinsäure bzw. Niacin) aus: Schon ab 50 mg kann es zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Hitzewallungen (Flushs) kommen.4,37
Doch nicht alles, was gut verträglich ist, ist auch risikolos. Darauf weist der Neurochemiker Dr. Johannes Burtscher von der Universität Innsbruck hin: „Prinzipiell werden NAD-Boosting-Strategien als ziemlich risikolos eingestuft. Allerdings verändert man damit eben den zellulären Stoffwechsel. Wenn dieser Effekt mit anderen akuten Stressoren verbunden wird, die ebenfalls den NAD-Metabolismus verändern, könnte das theoretisch ein Risiko darstellen, das noch unzureichend untersucht ist.“38
Ein weiterer Aspekt: Der Effekt ist nicht dauerhaft. Nach Absetzen der Einnahme sinkt der NAD⁺-Spiegel meist wieder – was auf eine notwendige Daueranwendung hindeutet.4,39 Bei langfristiger oder hochdosierter Einnahme besteht zudem die Möglichkeit, dass sich NAM im Körper anreichert – was vor allem bei älteren Menschen kritisch sein kann.8,40
Was die Aufnahme im Körper betrifft:
Trotzdem bleiben viele Ärzte zurückhaltend. Zu unausgereift sei die Datenlage – vor allem, wenn es um Langzeitanwendung, Tumorrisiken oder Effekte jenseits von Modellorganismen geht.
Im Austausch mit Naturheilverfahren.de erklärt Dr. med. Christian Gersch, Arzt für funktionelle Medizin: „Die lebensverlängernde Wirkung von NAD⁺-Vorstufen wie NR oder NMN, die in Modellorganismen wie Hefen und Fadenwürmern beobachtet wurde, ließ sich bei Säugetieren bisher nicht bestätigen. Für andere Substanzen hingegen konnte ein solcher Effekt wiederholt und deutlich nachgewiesen werden. Deshalb setzen wir in unserer Praxis keine NAD⁺-Booster ein – auch, weil es Hinweise gibt, dass eine hochdosierte Einnahme in bestimmten Fällen sogar das Wachstum bestehender Tumoren begünstigen könnte. Patienten, die mit solchen Präparaten zu uns kommen, stellen wir gezielt auf sicherere und wirksamere Alternativen um.“43
Für die meisten Menschen bringt regelmäßiger Sport mehr als jede NAD⁺-Infusion.
Körperliche Aktivität kann den NAD⁺-Spiegel im Körper nachweislich steigern – das belegen mehrere wissenschaftliche Studien. Sowohl intensive als auch moderate Trainingsreize erhöhen die Aktivität des Enzyms NAMPT, das im sogenannten Salvage-Weg eine Schlüsselrolle spielt. Über diesen Stoffwechselweg stellt der Körper NAD⁺ selbst her.44,45,46
Eine randomisierte Studie der Technischen Universität Darmstadt zeigt: Schon kurze Trainingseinheiten – ob hochintensives Intervalltraining (HIIT) oder moderates Ausdauertraining – reichen aus, um die Genaktivität NAD⁺-assoziierter Enzyme in Immunzellen messbar zu erhöhen.46
Auch langfristige Trainingsprogramme zeigen Wirkung. In einer Studie mit bislang untrainierten Erwachsenen mittleren Alters führte ein zehnwöchiges Krafttraining zu einem Anstieg von NAD⁺, NADH und sogenannten Sirtuinen – Enzymen, die an zellulären Schutz- und Reparaturmechanismen beteiligt sind.47 Einer der beteiligten Wissenschaftler, Professor Michael D. Roberts von der Auburn University in den USA, betont gegenüber Naturheilverfahren.de: „Abgesehen von diesem molekularen Ergebnis haben wir einige interessante Phänomene auf mitochondrialer Ebene beobachtet – darunter einen veränderten Zustand der mitochondrialen DNA, der eine verstärkte Biogenese begünstigt, sowie eine erhöhte Dynamik und ein gesteigertes Redoxpotenzial der Mitochondrien. Widerstandstraining ist also eine echte Win-Win-Win-Situation für den Aufbau von Muskelmasse, Kraft und der metabolischen Gesundheit der Muskulatur.“48
Auch Querschnittsdaten legen nahe: Menschen, die lebenslang sportlich aktiv sind – insbesondere Sprintathleten – haben häufig höhere NAD⁺-Spiegel.49 Eine Metaanalyse zeigte zudem, dass vor allem aerobes Training die NAMPT-Expression besonders effektiv steigert. Männer und junge Erwachsene profitieren dabei etwas stärker als andere Gruppen.50
Ein weiterer möglicher Einflussfaktor: Training in Höhenlagen. Ein 2025 veröffentlichtes Review deutet darauf hin, dass eine leichte Hypoxie, also ein Sauerstoffmangel durch dünne Luft, ebenfalls den NAD⁺-Stoffwechsel anregen könnte.3 Dr. Johannes Burtscher erläutert dazu: „Regelmäßige körperliche Aktivität kann den NAD⁺/NADH-Spiegel erhöhen und altersbedingte Verluste verlangsamen. Wahrscheinlich noch wichtiger ist: Sport verbessert die Fähigkeit der Zellen, sich flexibel an neue Bedingungen anzupassen – etwa bei Stress oder körperlicher Belastung. Diese Anpassungsfähigkeit geht im Alter oft verloren. Bewegung – und möglicherweise auch gezielte Hypoxie – kann dem entgegenwirken. Solche Effekte sind vermutlich nachhaltiger als eine rein pharmakologische Supplementierung. Für den gezielten Einsatz von Hypoxie fehlen aber noch Daten zur optimalen Dauer und Intensität.“38
Neben der körpereigenen Produktion kann NAD⁺ auch aus bestimmten Vorstufen in der Nahrung gebildet werden. Die wichtigsten dieser sogenannten Präkursoren sind NAM (Nicotinamid), NR (Nicotinamid-Ribosid) und NMN (Nicotinamid-Mononukleotid). Sie kommen in unterschiedlichen Mengen in Lebensmitteln vor: Brokkoli, grüne Bohnen, Edamame und Gurken enthalten vergleichsweise viel NMN, während NR vor allem in Bananen, Orangen und Wildchicorée nachgewiesen wurde.35,51,52
Bestimmte Ernährungsgewohnheiten können den NAD⁺-Stoffwechsel unterstützen:
Trotzdem gilt: Der direkte Einfluss der Ernährung auf die NAD⁺-Spiegel im Blut ist begrenzt. Der Großteil des NAD⁺ wird im Körper aus bereits vorhandenen Molekülen recycelt.4
NAD⁺ ist ein faszinierendes Molekül mit zentraler Bedeutung für Zellgesundheit, Energiehaushalt und Alterungsprozesse. Die Forschung liefert vielversprechende Hinweise – etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, neurodegenerativen Leiden oder der Muskelfunktion. Doch gerade bei Nahrungsergänzungsmitteln bleibt die Studienlage lückenhaft und uneinheitlich, vor allem wenn es um langfristige Wirksamkeit und Sicherheit beim Menschen geht.
Trotz wachsender Werbeversprechen – von NAD⁺-Infusionen bis zu Kapseln – bleiben viele Fachleute skeptisch. Die Mehrheit empfiehlt derzeit keine generelle Supplementierung.
Die gute Nachricht: Sport wirkt – nachgewiesen und risikolos. Regelmäßige Bewegung erhöht nicht nur den NAD⁺-Spiegel auf natürliche Weise, sondern verbessert auch die Fähigkeit der Zellen, sich flexibel an Belastungen und Umwelteinflüsse anzupassen.
Auch Dr. Jonas T. Treebak, Associate Professor für Molekularen Metabolismus an der Universität Kopenhagen, spricht sich für einen pragmatischen Umgang mit dem Thema aus. „Für die Allgemeinbevölkerung würde ich dazu raten, regelmäßiger körperlicher Betätigung den Vorzug vor einer Supplementierung zu geben – auch angesichts des Mangels an langfristigen Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten. Eine Supplementierung kann in bestimmten Situationen sinnvoll sein, sollte aber nicht die umfassenden Vorteile von Bewegung ersetzen.“54
Wer seinen NAD⁺-Spiegel gezielt unterstützen möchte, kann also oft schon mit einfachen Mitteln viel erreichen – ganz ohne Infusion. Für alles Weitere gilt: ärztlich beraten lassen, statt blind zu supplementieren.